Silvesterangst: Ich hab es satt immer wieder darüber zu reden

Der Müll am Neujahrstag.Und dafür müssen Hunde Angst haben

Inhalt

Ach, es ist wieder so weit. Jahreswechsel. Raketen, Böller, Knaller. Und jedes Jahr erkläre ich aufs Neue, warum das für Hunde – und ehrlich gesagt für viele andere Lebewesen auch – purer Stress ist. Ich merke: Ich habe es satt. Nicht ein bisschen. Richtig satt.

Nicht, weil die Fakten neu wären. Sondern weil sie seit Jahren dieselben sind – und trotzdem jedes Jahr ignoriert werden.

Ein paar Zahlen zur Einordnung (bundesweit):

  • Rekordumsatz der Feuerwerksbranche zum Jahreswechsel 2024/2025: 197 Millionen Euro
  • Davon rund 37 Millionen Euro Mehrwertsteuer
  • Jährlich etwa 2.050 Tonnen Feinstaub allein durch Silvesterfeuerwerk
  • Lärmspitzen zwischen 120 und 145 Dezibel
    (ab 85 dB gilt Lärm als gehörschädigend)
  • 59 % der Bevölkerung wünschen sich inzwischen ein Ende der privaten Böllerei

Und dann gibt es die Realität vor der Haustür.

Beispiel Berlin (stellvertretend für viele Großstädte):
Am Neujahrsmorgen 2025 sammelte die Berliner Stadtreinigung rund 670 Kubikmeter Müll ein – das entspricht etwa 4.467 vollgestopften Badewannen.
500 Beschäftigte, 180 Fahrzeuge. Für eine Nacht.

Was in vielen Köpfen aber immer noch fehlt:
In Großstädten wird nicht nur an Silvester geknallt.
Hier geht das oft sieben Tage lang. Drei Tage Dauerbeschuss gelten schon als „harmlos“.
Und am Silvestertag selbst reden wir nicht von ein paar Stunden, sondern von zwölf Stunden Dauerlärm. Ohne Pause. Ohne Vorwarnung. Das übersteigt alles, was man sich auf dem Dorf überhaupt vorstellen kann.

Für uns ist das nervig. Für Hunde ist es ein Ausnahmezustand.

Ihr Gehör nimmt Frequenzen wahr, die wir längst nicht mehr hören. Was für uns ein kurzer Knall ist, ist für sie ein körperlicher Angriff. Kein Sinn. Keine Kontrolle. Keine Fluchtmöglichkeit. Also zittern sie, pressen sich in Ecken, verkriechen sich in Badewannen oder frieren einfach ein.

Und ja – ich weiß, viele sagen: „Ist ja nur einmal im Jahr.“
Aber für den Hund fühlt sich dieses „einmal“ an wie eine Ewigkeit.

Also gut. Ich atme tief durch, rolle innerlich mit den Augen – und rede noch einmal darüber. Nicht, weil ich Lust dazu habe. Sondern weil dein Hund nichts dafür kann. Und weil es Dinge gibt, die du tun kannst, um ihm diese Zeit erträglicher zu machen.

Warum an der Silvesterangst deines Hundes arbeiten?

Angst ist erst einmal nichts Schlechtes. Sie ist eine sinnvolle Schutzreaktion. Das Problem beginnt dort, wo Angst nicht mehr abklingen kann. Und genau das passiert rund um Silvester viel zu oft.

Der Satz „Da muss er halt durch, ist doch nur einmal im Jahr“ klingt bequem, hilft aber niemandem. Vor allem nicht in Großstädten. Dort beginnt das Geknalle oft Tage vor Silvester und zieht sich bis weit in den Januar hinein. Für deinen Hund bedeutet das nicht einen kurzen Schreck, sondern mehrere Tage oder sogar eine ganze Woche Dauerstress.

Und Dauerstress ist ungesund. Punkt.

Angst, die nicht verarbeitet werden kann, bleibt im Körper hängen. Das Nervensystem kommt nicht mehr zur Ruhe. Die innere Alarmbereitschaft bleibt hoch. Die Folge: Die Angstschwelle sinkt. Geräusche, die vorher vielleicht noch auszuhalten waren, lösen plötzlich heftige Reaktionen aus. Zittern, Panik, Erstarren, Fluchtversuche. Und das Ganze schaukelt sich von Jahr zu Jahr weiter hoch.

Das betrifft nicht nur das Verhalten, sondern auch die Gesundheit. Schlafmangel, Verdauungsprobleme, verspannte Muskulatur, erhöhte Reizbarkeit – all das sehe ich immer wieder. Und nein, das ist kein „sich anstellen“. Das ist ein überforderter Organismus.

Genau deshalb lohnt es sich, rechtzeitig hinzuschauen und etwas zu verändern. Nicht mit Druck, nicht mit „Augen zu und durch“, sondern mit einem gut durchdachten, machbaren Ansatz, der deinem Hund Sicherheit gibt.

Die entscheidende Frage ist also nicht ob man etwas tun sollte, sondern:

Womit fängt man eigentlich an?

Tellington TTouch – einfach und effektiv

Tellington TTouch ist eine Methode, mit der ich bei Hunden mit Geräuschangst immer wieder gute Erfahrungen mache. Ein großer Vorteil: Man kann auch noch relativ spät im Jahr damit beginnen. Es braucht keine lange Vorbereitung, sondern vor allem Achtsamkeit und Regelmäßigkeit.

Gearbeitet wird mit sehr sanften Berührungen in 1¼-Kreisen. Diese bewusste Berührung spricht den Teil des Nervensystems an, der für Entspannung und Regeneration zuständig ist – genau der Bereich, der bei Angst kaum noch erreichbar ist.

Herzschlag und Atmung werden ruhiger, die Muskelspannung lässt nach. Der Körper kommt aus dem Alarmzustand. Und ein entspannter Körper ermöglicht anderes Verhalten, ohne Druck und ohne Zwang.

TTouch lässt sich gut mit Training kombinieren und kann auch am Silvestertag unterstützen. Am wirksamsten ist er jedoch, wenn der Hund ihn schon vorher kennt.

In diesen Blogartikeln findest du einige TTouches ausführlich erklärt:

Training bei Silvesterangst

An den Tellington TTouch kann gezielt ein spezielles Training gegen Silvesterangst anschließen. Beides schließt sich nicht aus – im Gegenteil: Es ergänzt sich sehr gut. Manchmal steht TTouch im Vordergrund, manchmal das Training. Beides darf für sich wirken.

Wichtig ist vor allem eines: Ein Angsttraining muss gut durchdacht und positiv aufgebaut sein. Gerade bei starken Ängsten bringt Druck gar nichts. Im schlimmsten Fall verschärft er das Problem.

Oft wird Desensibilisierung empfohlen. Dabei wird der Hund schrittweise und kontrolliert an die angstauslösenden Geräusche herangeführt – Knaller, Böller, Raketen. Voraussetzung ist ein entspannter Lernrahmen. Und genau da liegt der Haken: Dieses Training braucht Zeit. Je stärker die Angst, desto länger der Weg. Eigentlich müsste man sehr früh im Jahr beginnen.

In der Praxis ist das leider oft schwierig. Vor allem in Großstädten. Irgendwo knallt immer jemand. Unerwartet. Unkontrollierbar. Und dann steht man gefühlt wieder am Anfang.

Was trotzdem helfen kann: Die Geräusche so gut es geht neu zu verknüpfen. Wenn ein Knall mit etwas richtig Gutem zusammenfällt, entsteht zumindest eine kleine Gegenbewegung im Nervensystem. Futter, Spiel, Bewegung, Toben – alles, was deinem Hund echte Freude macht, ist erlaubt. Es ist kein perfektes Training, aber oft eine realistische Chance im Alltag.

Welpen und Junghunde

Ein besonderes Kapitel sind Welpen und Junghunde. Das erste Silvester steht bevor, und niemand weiß genau, wie der Hund reagieren wird. Ein bisschen einschätzen kannst du ihn meist schon: Ist er eher neugierig und offen oder schnell verunsichert?

Wenn du merkst, dass dein Hund sensibel auf Geräusche reagiert, sprich frühzeitig mit einer fachkundigen Trainerin oder einem Tierarzt mit Verhaltenserfahrung. Jetzt hast du noch die Möglichkeit, Weichen zu stellen – sanft, unterstützend und ohne Zeitdruck.

Je nach Hund können sowohl TTouch als auch ein begleitendes Training sinnvoll sein. Zusätzlich greifen manche Menschen vorsorglich zu pflanzlichen Mitteln. Auch dazu findest du weiter unten im Artikel Hinweise.

Management rund um Silvester mit Hund

Mit gutem Management kannst du deinem Hund die Tage rund um Silvester spürbar erleichtern. Es ersetzt kein Training – aber es hilft, den Stress so gering wie möglich zu halten.

Bewährt hat sich:

  • Rückzugsorte schaffen
    Baue deinem Hund mehrere Höhlen oder nutze eine positiv aufgebaute Hundebox mit offener Tür. Wähle Orte in deiner Nähe oder Plätze, die dein Hund bei Stress ohnehin aufsucht. Wenn möglich, ein Zimmer ohne Fenster.
  • Beschäftigung anbieten – wenn es geht
    Manche Hunde können trotz Knallerei kauen oder schlecken. Dann sind Knabbersachen oder ein gut gefüllter Kong hilfreich. Kauen und Lecken bauen Stress ab. Nimmt dein Hund kein Futter mehr an, ist das kein „Problem“, sondern ein Zeichen von Überforderung.
  • Außenreize reduzieren
    Fenster abdunkeln, Jalousien schließen. Musik oder Fernseher können die Geräusche dämpfen. Manche Hunde profitieren davon, wenn es gegen Mitternacht etwas lauter in der Wohnung wird – das bitte vorher testen. In meinem Alltag dürfen um Mitternacht auch besonders gute Leckereien fliegen. Hauptsache, der Hund bleibt in Bewegung und nicht im Alarmmodus.
  • Dasein und unterstützen
    Hat dein Hund starke Angst, bleib bei ihm. Sprich ruhig mit ihm, berühre ihn sanft oder arbeite mit TTouch.
    Und ganz klar: Trösten ist erlaubt.
    Ignorieren hilft hier niemandem. Deine Nähe gibt Sicherheit. Sanftes Ausstreichen der Ohren mit leichtem Druck kann zusätzlich stabilisieren – bitte unbedingt vor Silvester ausprobieren.
  • Nicht alleine lassen
    Lass deinen Hund an Silvester nicht allein. Auch leichte Unsicherheiten können sich sonst verstärken. Plane den Abend so, dass du um Mitternacht wirklich für deinen Hund da bist. Gäste sollten das wissen. Lautes Gegröle in der Wohnung ist in dieser Nacht eher fehl am Platz.
  • Draußen Sicherheit vor Tempo
    Sichere deinen Hund rund um den Jahreswechsel gut – idealerweise mit Geschirr und Leine, eventuell zusätzlich mit Halsband.
    Die letzte große Runde bei Tageslicht. Später lieber kurze Minirunden in Hausnähe. Jeder verlorene Hund an Silvester ist einer zu viel.
  • Tage davor und danach ernst nehmen
    Sorge vor Silvester für gute Auslastung, gern auch mit Fahrten in ruhigere Gebiete. Hat dein Hund starke Angst, halte die Runden kurz und überschaubar. Ein paar Tage mit vielen kleinen Spaziergängen sind völlig in Ordnung. Zwingen bringt nichts.
  • Sound masking bedeutet, dass Geräusche weniger wahrnehmbar sind, wenn gleichzeitig Geräusche ähnlicher Frequenz im Hintergrund ablaufen, Feuerwerksgeräusche maskieren – Stress reduzieren

Bei sehr ausgeprägter Angst können in manchen Fällen auch verschreibungspflichtige Medikamente sinnvoll sein.

Thundershirt und Körperbandagen

Das Thundershirt kennen viele. Eine flexiblere Alternative sind Tellington Körperbänder, die individuell an den Hund angepasst werden können. Beide arbeiten nach demselben Prinzip: gleichmäßiger, sanfter Druck auf den Körper.

Warum kann das bei Silvesterangst helfen?

Die Haut des Hundes ist ein wichtiges Sinnesorgan. Über Berührung und Druck werden Informationen ans Gehirn weitergeleitet, die Einfluss auf Gefühle, Körperspannung und Verhalten haben. Gleichmäßiger Druck kann dabei helfen, das Nervensystem zu ordnen und aus dem Alarmmodus herauszuführen.

Mögliche Effekte sind zum Beispiel:

  • entspanntere Muskulatur
  • ruhigere Atmung
  • ausgeglichenere Körperhaltung
  • geringere innere Anspannung

Das bedeutet nicht, dass Angst „weggezaubert“ wird. Aber viele Hunde können sich mit Shirt oder Bandage besser sammeln und regulieren.

Am wirkungsvollsten ist diese Unterstützung in Kombination mit Körperarbeit wie dem Tellington TTouch. Beides zusammen hilft dem Hund, seinen Körper besser wahrzunehmen und sich selbst zu stabilisieren. Als alleinige Maßnahme reicht es bei starker Angst meist nicht aus – als Teil eines Gesamtkonzepts kann es sehr wertvoll sein.

Verschreibungspflichtige Medikamente bei Silvesterangst

Medikamente zur Angstreduktion sind kein leichter Schritt – und sollten es auch nicht sein. Sie sind kein Ersatz für Training, Beziehung oder gutes Management. Aber sie können in bestimmten Situationen eine sinnvolle Unterstützung sein.

Wenn ein Hund rund um Silvester in echte Panik gerät und weder Vorbereitung noch begleitende Maßnahmen ausreichen, kann medikamentöse Hilfe dabei unterstützen, das Nervensystem zu entlasten. Ziel ist nicht, den Hund „ruhigzustellen“, sondern ihm überhaupt erst die Möglichkeit zu geben, Reize besser zu verarbeiten und nicht komplett im Alarmzustand festzuhängen.

Natürlich gilt: Jedes Medikament kann Nebenwirkungen haben. Deshalb gehört diese Entscheidung immer in fachkundige Hände – zu einem Tierarzt oder einer Tierärztin mit entsprechender Erfahrung im Bereich Verhalten. Pauschallösungen gibt es hier nicht.

Richtig eingesetzt können Medikamente jedoch dazu beitragen, das Wohlbefinden und die Lebensqualität eines stark betroffenen Hundes spürbar zu verbessern – vor allem dann, wenn Angst und Stress sonst über Tage oder Wochen anhalten würden.

Zu diesem Thema gibt es einen sehr ausführlichen und fachlich fundierten Artikel der Verhaltensbiologin Dr. Stefanie Riemer, den ich dir im Text verlinke. Wenn du dich mit dem Gedanken an medikamentöse Unterstützung trägst, lies ihn bitte in Ruhe – er hilft, realistisch einzuordnen, was möglich ist und was nicht.

Futterergänzungsmittel und unterstützende Präparate

Die folgenden Mittel können begleitend eingesetzt werden. Für den Jahreswechsel eignen sie sich meiner Erfahrung nach vor allem für leicht verunsicherte Hunde. Bei starker Angst oder Panik reichen sie allein nicht aus.

Ganz wichtig: Bitte sprich mit Tierarzt oder Apotheker, bevor du verschiedene Präparate kombinierst – besonders dann, wenn dein Hund zusätzlich verschreibungspflichtige Medikamente bekommt.

Adaptil (Halsband, Spray, Verdampfer)

Adaptil enthält eine synthetische Nachbildung des sogenannten Dog Appeasing Pheromons (DAP). Dieses Pheromon wirkt bei vielen Hunden beruhigend und kann das Sicherheitsgefühl unterstützen. Es ersetzt kein Training, kann aber als sanfte Unterstützung hilfreich sein.

Adaptil Tabletten

Die Tabletten enthalten eine Kombination aus:

  • GABA
  • L-Tryptophan
  • L-Theanin
  • B-Vitaminen

Diese Stoffe wirken auf das Nervensystem und können kurzfristig stabilisierend sein. Sie eignen sich eher zur unterstützenden Akuthilfe, nicht als alleinige Lösung.

Zylkene

Zylkene ist ein Ergänzungsfuttermittel auf Basis von α-Casozepin, einem Bestandteil des Milchproteins.
Bei Hunden zeigt sich eine beruhigende Wirkung meist nach 7–14 Tagen. Für den Jahreswechsel sollte es daher rechtzeitig gegeben werden.

Rescue Tropfen (Bachblütenmischung)

Rescue Tropfen werden häufig bei leichter Angst und innerer Unruhe eingesetzt. Sie können über mehrere Tage rund um Silvester gegeben werden.

Bei leichter Verunsicherung – etwa um Mitternacht – können sie auch kurzfristig eingesetzt werden. Manche Hunde profitieren davon, andere zeigen keine Reaktion. Das ist individuell sehr unterschiedlich.

Auch hier gilt: keine Wunder erwarten, sondern Unterstützung im Rahmen eines Gesamtpakets aus Management, Beziehung und ggf. Training.

Kurz zusammengefasst

Bei Silvesterangst gibt es keine Wunderlösung, aber viele Stellschrauben.

Möglichkeiten:
Körperarbeit, Training, gutes Management, Hilfsmittel und – wenn nötig – Medikamente können Angst reduzieren und deinem Hund helfen, besser durch diese Zeit zu kommen.

Grenzen:
Angst lässt sich nicht einfach abschalten. Nicht alles wirkt bei jedem Hund. Und manches braucht Zeit oder fachliche Begleitung.

Entscheidend ist nicht Perfektion, sondern dass dein Hund Unterstützung bekommt – und nicht alleine bleibt.

Was du außerdem tun kannst

Wenn du nicht jedes Jahr wieder an derselben Stelle stehen willst, kannst du auch politisch und gesellschaftlich ein Zeichen setzen:
Unterschreibe eine Initiative gegen private Böllerei.

Immer mehr Menschen wünschen sich einen ruhigen, sicheren Jahreswechsel – für Tiere, Menschen und Umwelt.

👉 Link zur Initiative https://mitmachen.duh.de/boellerfreies-silvester/